Buß- und Bettag 2025
Sprüche 14,34: "Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Sünde ist der Leute Verderben."
Wir müssen den Begriff Gerechtigkeit biblisch verstehen. Mit diesem Begriff richtet die Bibel einen Maßstab auf, der an mich angelegt wird. Und dieser Maßstab ist die Heiligkeit Gottes selbst. Ungerechtigkeit ist die Tatsache, dass ich dieser Heiligkeit Gottes nicht entspreche. Daraus würde nun zwangsläufig das Urteil der Verwerfung folgen. Welche Chance bleibt mir als Ungerechtem dann vor der Heiligkeit Gottes? Es bleiben mir Gottes Langmut und Geduld. In diesem Sinne bezeichnet Paulus die Torah als „heilig, gerecht und gut“, obwohl sie doch nicht retten kann. Die Reformatoren entwickelten, unterschiedlich stark ausgeprägt, drei Gebräuche dieser Torah:
1. „Spiegel“ Von diesem Gebrauch her entwickelte Luther sein Konzept von „Gesetz und Evangelium“. Der Mensch muss zuerst durch die Erkenntnis seiner Sündhaftigkeit ins Verderben gestürzt werden, damit er erkennt, wie erlösungsbedürftig er ist. Dazu dient die Torah als Spiegel. Ich sehe hinein und sehe mich in ihr als einen, der dem heiligen Willen Gottes in keiner Weise entspricht. Allein die Tatsache, dass Gott mir seinen heiligen Willen sagen muss, macht deutlich, dass ich diesen von selbst weder kenne, noch tue. Ich höre Gottes heiligen Willen und erkenne, dass ich dieses Ziel mit meinem Leben verfehle, also sündige. Die Opfer, die Gott anordnete, waren Zeichen seiner Langmut und Geduld. Sie sollten zeigen, dass Blut fließen muß. Da es aber nicht das des Sünders sein sollte, stand dieser vor der Frage: Wessen Blut wird es denn sein, das mich wirklich erlösen kann? So sollten die Opfer ein Vorbild auf das wirkliche Opfer sein.
2. „Riegel“ Wenn das Urteil über mein Herz stimmt, dass es Gottes Willen weder kennt, noch tut, also notwendig sündigt, wer bewahrt dann meine Mitmenschen vor diesem gottlosen Herzen? Gott selber tut es, indem er meinem Herzen durch seine Torah einen Riegel vorschiebt. Offenbar ist Mord in meinem Herzen eine Option. Also sagt Gott: „Du sollst nicht töten!“. Ehebruch <> „Du sollst nicht ehebrechen!“. Diffamierung und Rufmord <> „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden!“. Andere sollen in die Lage versetzt werden, mein Sünder-sein zu überstehen, indem Gott diesem einen Riegel vorschiebt.
3. „Regel“ Wenn das Urteil stimmt, dass aus meinem Herzen nur Sünde kommt, wie kann ich dann leben? Gott sagt in der Torah: „Das ist der Weg, den gehe!“. Er sagt: „Ich lege dir heute vor Segen und Fluch, Leben und Tod, auf dass du Segen und Leben wählst“. So konnte auch ein Sünder sein Leben in der Ausrichtung auf Gottes Wort positiv gestalten. Es war ein Weg in Gottes Langmut und Geduld, denn kein Sünder konnte durch das Halten der Torah vor Gott seinem Wesen nach ein Gerechter werden. Auch die Opfer konnten Sünde immer nur zudecken, nicht wegnehmen. Selbst die Opfer für erkannte und bekannte Sünde wandten sich immer nur an Gottes Langmut. Sie hatten in sich selbst keine Kraft; sie warfen immer nur den Schatten des Kreuzes Christi auf die Sünde. Sie waren nie ein Mittel, Gerechtigkeit vor Gott zu erlangen, ebensowenig wie die Torah selber. Mit „zwischenhinein gekommen“ meint Paulus die Stellung der Torah zwischen Verheißung (1Mo 3,15) und Glauben (1Mo 15) auf der einen Seite und der Erfüllung in Christus auf der anderen. Insofern hat die Torah eine ganz eigene Qualität als Mittel der Bewahrung auf die Erlösung hin. Gerecht kann aber nur der machen, der selbst gerecht ist, der dann diese seine Gerechtigkeit für uns einsetzt und sie uns aus Gnade schenkt. Wir können als Ungerechte nichts zu unserer Gerechtigkeit beitragen, und wir können als in Sünden Tote nichts zu unserem Leben beitragen. Gerechtigkeit ist ein Geschenk der Gnade Christi, und diese ist vollkommen einseitig. Die entscheidende Entdeckung der Reformation ist, daß im Evangelium Gottes einseitig schon alle Geschenke der Gnade liegen. Luthers angsterfüllte Frage „Wie bekomme ich einen gnädigen Gottt?“ stellt sich im Evangelium nicht mehr. Deshalb übersetzt Luther in Röm 1: „… die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, die aus Glauben und im Glauben kommt“. Sünde ist nun einerseits das alte Leben, andererseits aber auch das Leben gegen die Gerechtigkeit, die Gott schenkt. Da es diese Ungerechtigkeit immer noch gibt, kann es keine Allversöhnung geben, weil dies die Heiligkeit Gottes leugnen würde. Ungerechtigkeit geht auf Gottes Gericht zu. So trägt Sünde ihren Schaden für die Menschen einerseits schon in sich; wo Sünde die Maßstäbe festlegt, ist Verderben. Andererseits führt Sünde ins Gericht vor dem heiligen Gott. Dieses Gericht kann nicht durch Verhaltensänderung im Sinne einer geänderten Ethik verhindert werden, sondern nur durch Sinnesänderung. Das meint die Bibel mit Buße. Buße ist die totale Abkehr von allem Eigenen und die totale Hinwendung zu dem heiligen Gott und seinen Maßstäben. Das beginnt mit der Annahme seines Urteils am Kreuz und dem Ergreifen seiner Gnade. Sünde ist nicht in erster Linie Tat, sondern Lebensrichtung. Es ist die Lebensrichtung, zu der die Schlange Eva verführt hat, angefangen mit „sollte Gott gesagt haben …“ bis hin zu „du wirst genauso klug sein wie Gott“. Diese Ausrichtung führt dazu, daß der Mensch zwangsläufig sein Ziel verfehlen muß, weil immer nur er selbst sein Ziel ist und niemals Gott. Deshalb sagt Luther zurecht: „Es ist doch unser Tun umsonst auch in dem besten Leben“. Auch das Beste, zu dem Menschen fähig sind, kann niemals auf Gott abzielen, kann also die Ausrichtung der Sünde nicht verlassen. Sünde darf also nicht ethisch, sie muß existentiell verstanden werden. Nicht nur Krieg „ist der Leute Verderben“, auch alle Versuche, diese Welt aus eigener Kraft zu retten, sind es, weil sie den Menschen an die Stelle Gottes saetzen. Eine Kirche, die nicht zum Kreuz führt, ist daher auch keine Hilfe, sondern Teil des Verderbens. Wenn mein Ziel in Frankfurt liegt, dann erreiche ich überhaupt nichts, solange ich auf der Autobahn in Richtung Dortmund unterwegs bin. Ich muß runter und in der Gegenrichtung wieder drauffahren. Korrekturen auf dem Weg in die falsche Richtung verschlimmern eher noch die Lage, weil sie mir fälschlich eine Selbstwirksamkeit vorgaukeln und mich dadurch in falscher sicherheit wiegen. Korrekturen, die hinter echter Buße zurückbleiben, entsprechen der Neuordnung der Sonnenliegen an Bord der Titanic. Verderben vermeiden muß unbedingt heißen, Gottes Gerechtigkeit zu suchen. Dafür legt er aber die Regeln fest, dafür setzt er die Maßstäbe. Einzig, was von ihm bestimmt wird, kann hier helfen, aber nichts, was in den Händen der Menschen liegt. Konzepte und Handlungsoptionen, auch die frömmsten, bestärken das Verderben. Bekannte Schuld und Ohnmacht, das Flehen um erleuchtete Augen, um die Erfüllung mit Gottes Sinn können allein helfen. Gemeinde Jesu nimmt Anteil am Priester- und Prophetenamt Jesu Christi. Sie steht für die Menschen vor dem heiligen Gott, und sie steht für den heiligen Gott vor den Menschen. Wenn die Gemeinde beides nicht mehr tut, weil sie ihren eigenen Charakter verleugnet und für sich selbst die Zielverfehlung gewählt hat, also das geworden ist, was die Offenbarung „Hure Babylon“ nennt, was ist dann noch zu erwarten, außer Gottes Zorn-Gericht? Jesus Christus nennt seine Gemeinde „Salz der Erde“. Im selben Atemzug warnt er seine Gemeinde aber davor, genau das nicht mehr zu sein. Sollte das jemals eintreten, bleibt ihr nur das Weggeschmissen- und Zertreten-werden. Aber seine Gemeinde, die das in Klarheit und Wahrheit ist, sieht seine Majestät, wie er sich in Offenbarung 1 darstellt. Sie hört seine Zusagen, wie er sie den kraftlosen und bedrängten Gemeinden in Smyrna und Philadelphia gibt. Sie vertraut sich dem Herrn an, der das Lamm ist und als Löwe auftritt. Sie richtet sich auf ihn aus, bis er sie „vor dem kommenden Zorn bewahrt“ und mit sich vereinigt. Es waren Christen, die sich die Einteilung des Kirchenjahres ausgedacht haben. Deshalb steht über dem letzten Sonntag des Kirchenjahres die Frage: Wo verbringst du die Ewigkeit? Deshalb liegt auf dem Mittwoch vor diesem Sonntag, quasi auf 5 vor 12, der Buß- und Bettag. Wer die Antwort auf diese Frage im Evangelium sucht, für den folgen Advent und Weihnachten: „Christ, der Retter ist da!“. Diese Antwort findet ihren guten Wurzelgrund im Sinne des „vierfachen Ackers“ am Buß- und Bettag.
